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Der Heuschnupfen - aus psychosomatischer Sicht 

Nicht nur die Pollen sind schuld dran

Von Dr. Reiner Matheis, München

 

Schon seit langem ist es ein ungelöstes Problem, warum bei gleicher Konfrontation mit den allgegenwärtigen Pollen stets nur ein relativ kleiner Prozentsatz der Bevölkerung an Heuschnupfen erkrankt. Einer möglichen vererblichen Bereitschaft zur allergischen Erkrankung steht jedoch andererseits die Tatsache entgegen. dass eine Sensibilisierung gegen das spezifisch auslösende Allergen stets erworben ist, außerdem die Tatsache, dass grundsätzlich jede Person - unabhängig von ihren Erbeigenschaften - sensibilisierbar ist. Bei der Betrachtung der anlagebedingten Allergiebereitschaft ist daher grundsätzlich festzuhalten: Der durch Erbfaktoren belastete Allergiker unterscheidet sich von gesunden Personen lediglich durch eine erhöhte und gesteigerte Sensibilisierungsbereitschaft.

 

Neben der erblichen Allergiebereitschaft sind noch eine große Zahl weiterer Faktoren von maßgeblicher Bedeutung: der Zustand des neurovegetativen Systems, gleichzeitig bestehende Infektionen, Umwelteinflüsse, psychische Belastungen verschiedenster Art und auch Stress werden für den Anstieg des Heuschnupfens und anderer allergischer Erkrankungen verantwortlich gemacht. Seelische Probleme und Infektionen in der Kindheit können das Atemsystem empfindlich und verwundbar machen. Konflikte, Frustrationen und andere Arten von emotional belastenden Situationen treten dann mit diesen früh erworbenen Symptomen in eine Wechselwirkung und erzeugen die allergische Krankheit.

 

Heuschnupfen psychosomatisch

 

Es ist unbefriedigend, Pollen oder andere Allergene als einzige ursächliche Faktoren für den Heuschnupfen anzunehmen. Man kann immer wieder beobachten: Bei ein und demselben Patienten treten die allergischen Symptome bei gleicher Allergenexposition zu verschiedenen Zeiten in ganz unterschiedlicher Heftigkeit auf, oftmals bleiben die Beschwerden ganz aus, trotz hoher Pollenkonzentration in der Atemluft. Häufig muss man ein Zusammenwirken seelischer und körperlicher Ursachen beachten: Bei einem Patienten mit verdrängter Wut zum Beispiel genügt in der Blütezeit bereits eine geringe Pollenmenge in der Luft, um eine heftige Heuschnupfenattacke hervorzurufen. Gelegentlich hat das Allergen eine psychische Bedeutung und steht mit aggressiven und sexuellen Konflikten in Zusammenhang; in anderen Fällen kann eine allgemeine Angstminderung und Entschärfung, z. B. aggressiver Konflikte, etwa durch eine Psychotherapie, die allergische Krankheit günstig beeinflussen. Für viele Forscher besteht das Kernproblem in den Beziehungen zwischen den zwei Arten von ursächlichen Faktoren, den emotionalen und den allergischen. Es ist höchst bedeutsam, dass jede der beiden Faktorengruppen von sich aus einen Anfall auslösen kann, dass aber häufig beide zusammenwirken. Bei einem hohen Prozentsatz von Heuschnupfenpatienten zeigt sich irgendeine Form von allergischer Sensibilisierung. Einige dieser Kranken behalten ihre Überempfindlichkeit trotz der psychotherapeutischen Behandlung, wie sich am Hauttest zeigen lässt, verlieren aber ihre Symptome.

 

Bei solchen Fällen haben wir es wahrscheinlich mit einer "Summation von Reizen" tun, mit anderen Worten: Nur ein Zusammentreffen der emotionalen Reize und der allergischen Faktoren führt einen Anfall herbei, getrennt bleibt die Wirkung der jeweiligen Reize unterhalb der Reiz- oder Toleranzschwelle. Damit erklärt sich auch die Behauptung sowohl der Psychotherapeuten wie der Allergologen, dass ihre Behandlung erfolgreich gewesen sei.

 

Heuschnupfen gelernt

 

Man kann die Sensibilisierung auch als einen Lernvorgang betrachten. Wenn genügend oft Atemwegsallergene z. B. Pollen, einen Organismus in einer Konfliktsituation treffen, dann kommt es zu einer Sensibilisierung, die dazu führen kann, dass das Allergen letztlich auch allein zu einer Reaktion führt. Es wird berichtet. dass eine Mutter im Garten einer Klinik voller Todesangst die von ihr verschuldete Operation des einzigen Kindes abwartete und seitdem mit typischen Heuschnupfenanfällen auf die damals blühenden Sträucher reagierte. Mit diesem Erklärungsansatz ist es möglich, zu einer Reihe von Problemen Stellung zu nehmen, die durch eine rein organische Betrachtung nur unzureichend oder gar nicht erklärt werden können,


Beispielsweise:
1. Warum jemand zu einem bestimmten Zeitpunkt oder in einer bestimmten Lebensphase sensibilisiert wird.
2. Warum jemand nur auf eine begrenzte Anzahl bestimmter Allergene reagiert.
3. Warum erblich disponierte Personen, die in der gleichen Umwelt leben, gegen unterschiedliche Allergene sensibilisiert sein können.


Wenn hier auch eine andere Gewichtung ursächlicher Faktoren der Allergie vorgenommen wird als bei den meisten Allergologen, so steht dieser Ansatz dennoch nur scheinbar im Gegensatz zu der Auffassung, eine Allergie entstehe durch eine gesteigerte Antwort des Immunsystems auf genetischer Grundlage, denn eine erbliche Disposition schließt nicht die Tatsache aus, dass eine spezifische Sensibilisierung gegen Pollen erst erworben werden muss. Viele Beobachtungen, die zum Teil anekdotisch anmuten, haben gezeigt, dass beim Menschen Heuschnupfen durch den erlernten bedingten Reflex ausgelöst werden kann. Das oft dramatische Ereignis des ersten Auftretens einer allergischen Krankheit, wobei die ursächlichen Beziehungen zu einem bestimmten Pollenallergen und einer bestimmen Umweltsituation dem Patienten nicht selten eindrucksvoll vor Augen stehen, ist für das Einschleifen bedingter Reflexe außerordentlich günstig. Zur Auslösung des Heuschnupfens auf dem Weg über den bedingten Reflex ist später oft die Anwesenheit des Allergens nicht mehr Voraussetzung, schon eine Teilsituation kann das Geschehen auslösen.
Ein berühmter Fall ist eine gegen Rosen überempfindliche Patientin, die auf den Anblick einer künstlichen Rose mit heuschnupfenartigen Anfällen reagierte. Weniger bekannt ist, dass dieses Erlebnis bei der Kranken so stark „dekonditionierend" wirkte, dass sie danach ohne Beschwerden ihre Nase in einen Rosenstrauch tauchen konnte. 
Es gibt Patienten, die regelmäßig in der Gartenszene des „Faust" Niesattacken bekommen. 


In der psychologischen Lerntheorie werden Beispiele über das Zusammenwirken von Allergie und Gefühl angeführt. Heuschnupfen und Asthma konnten ausgelöst werden, wenn man Pollen in das Untersuchungszimmer brachte und gleichzeitig Angst erzeugte, jedoch nicht durch eine Komponente allein. Diese Krankheiten lassen sich an verschiedene Auslösefaktoren koppeln: Aus einer ursprünglich strikten Allergie gegen Blütenpollen wird schließlich eine ausgeweitete, psychisch bedeutsame Allergie. wobei schon ein Bild oder die Vorstellung von einer Wiese Symptome auslöst. So ließ sich bei Meerschweinchen mit Allergenen Asthma auslösen, wobei diese so ausgelösten Asthmaanfälle mit einem Ton als akustischem Reiz gekoppelt wurden. Bereits nach fünf Wiederholungen dieser Koppelung löste allein der Ton einen Anfall aus - ohne Allergene.

 

Der Allergiker, Heft 1/1987

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